Koordination:
J. Karner-Hanusch, Wien
Unter Mitarbeit von:
G. R. Jatzko, St. Veit/Glan
M. G. Smola, Graz
M. Wunderlich, Hollabrunn
Problemstellung/Ziel
Die multifaktorielle Ätiologie des kolorektalen Karzinoms, bestehend aus Umwelt- und genetischen Faktoren, fordert die exakte Kenntnis der Risikofaktoren für die Entstehung des Dickdarmkrebses. Die Inzidenz dieses Tumorleidens kann durch konsequente Überwachung und rechtzeitiges therapeutisches Eingreifen bei Risikogruppen gesenkt werden. Einen großen Stellenwert in der Prävention nehmen Ernährungsfaktoren ein – es ist zu hoffen, daß ein zunehmend ernährungsbewußtes Verhalten der Bevölkerung die immer noch steigende Häufigkeit des kolorektalen Karzinoms positiv beeinflussen kann.
Ätiologie
Die Ätiologie des kolorektalen Karzinoms ist multifaktoriell, wobei Umwelteinflüssen und genetischen Faktoren die entscheidende Rolle in der Karzinomentstehung zukommen. Derzeit werden für das Auftreten von etwa 90% der kolorektalen Karzinome Umwelteinflüsse – besonders Ernährungsfaktoren – verantwortlich gemacht, etwa 10% der kolorektalen Karzinome entstehen durch eine vererbbare Prädisposition zum Ausbruch der Erkrankung.
Risikofaktoren
Risikofaktoren für das Auftreten eines kolorektalen Karzinoms sind durch exogene oder endogene Faktoren bedingt (Tab. 1).
Tabelle 1: Risikofaktoren
Endogene Faktoren:
- präkanzeröse Läsionen
- positive Familienanamnese
- erbliche Syndrome
Exogene Faktoren:
- Umwelt- und Ernährung
- Erworbene Faktoren
Umwelt- und Ernährungsfaktoren
Die typisch westliche Diät, bestehend aus einer vermehrten Aufnahme von gesättigten Fettsäuren und Proteinen in Kombination mit einer verminderten Aufnahme von Ballaststoffen und eventuell Vitaminen, prädisponiert zur Krankheitsentstehung (Tab. 2).
Tab. 2: Ernährung und kolorektales Karzinom | |||
Bestandteil | Risiko | Mechanismus | Primärer Effekt |
Protein | erhöht | produziert aromatische Aminosäuren | mutagen |
produziert NH3 | irritierend | ||
Synthese bakterieller Faecapentene | mutagen | ||
Fett | erhöht | Gallensäuresekretion | Stimulation des Zellwachstums |
Produktion von 1, 2-Diglyceriden | Stimulation eines prämalignen Zellwachstums | ||
Produktion von Prostaglandinen | |||
Synthese bakterieller | mutagen | ||
Faecapentene | |||
Fischöl | vermindert | Inhibition der Prostaglandinsynthese | |
Karbohydrate | ? | ||
Faserstoffe | vermindert | Vermehrung des Stuhlvolumens | Verdünnung |
Passagebeschleunigung | Verminderung der Exposition | ||
Reduktion der Gallensäurenproduktion | wirkt Fett entgegen | ||
Bakterielle Darmflora | Reduktion von Faecapentenen | ||
Produktion von Butyratsäuren | induziert Zelltod | ||
Vitamine | vermindert | ? | |
PflanzlicheStoffe | vermindert | ? |
Weitere Umwelteinflüsse, die mit einer erhöhten Karzinominzidenz in Zusammenhang gebracht werden, sind Alkoholkonsum, Fettsucht, Asbestexposition, ein hoher sozio-ökonomischer Status, körperliche Inaktivität sowie eventuell die Einnahme bestimmter anthroidhältiger Laxantien.
Erworbene Prädisposition
Einige Erkrankungen bzw. Operationen an anderen Organen sollen mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung eines kolorektalen Karzinoms verantwortlich sein. Obwohl die Risikoerhöhung um weniger als den Faktor 2 gegenüber der Normalbevölkerung gegeben ist, sollen diese Konditionen erwähnt werden. Es handelt sich dabei um Patienten mit einer Vorgeschichte von Karzinomen der weiblichen Genitale und der Brustdrüse, Bestrahlungstherapie nach Karzinomen des weiblichen Genitaltraktes, Ureterosigmoideostomie, Cholecystektomie und Gastrektomie. Aufgrund der unterschiedlichen Angaben in der Literatur und des nicht beträchtlich erhöhten Risikos sind routinemäßige Screeninguntersuchungen des Dickdarmes bei diesen Patienten – mit Ausnahme eines status post Ureterosigmoideostomie – derzeit nicht empfehlenswert.
Kolorektale Adenome
Entsprechend der Adenom-Karzinomsequenz sind Adenome des Dickdarmes prinzipiell als präkanzeröse Läsionen anzusehen und als solche zu behandeln. Das maligne Potential eines Adenoms ist abhängig von Größe und Dysplasiegrad. Das Risiko zur Karzinomentstehung steigt signifikant bei einer Größe ab 20 mm und im Falle des Vorkommens von hochgradigen Dysplasien. Villöse und breitbasige Adenome haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko der Entartung. Weiters zu berücksichtigen ist das Vorkommen multipler und/oder synchroner Adenome des Kolorektums (Wahrscheinlichkeit der Karzinomentstehung: 20-40%). Diese Daten zwingen zu individuell auf den Patienten abgestimmten Nachsorgeuntersuchungen, unter der Berücksichtigung, daß die erfolgreiche Polypektomie eines tubulovillösen Adenoms das Krebsrisiko des Patienten auf jenes der Normalbevölkerung senkt (ca. 30%).
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn prädisponieren zur Entstehung von Dickdarmkarzinomen. Der Weg der Karzinomentstehung ist die Dysplasie-Karzinomsequenz. Der Zeitpunkt des Auftretens des Karzinoms ist abhängig von der Dauer der Erkrankung. So sind Colitispatienten – besonders im Fall einer Pancolitis – etwa 10 Jahre nach Erkrankungsbeginn gefährdet (Risiko ca. 40%), während das Risiko für Patienten mit Morbus Crohn erst etwa 15-20 Jahre nach dem Onset besteht (Risiko 2-4%). Die Schwierigkeit der Überwachung und des rechtzeitigen Erkennens der Karzinomentstehung in diesen Fällen liegt in den oft makroskopisch schwierig zu beurteilenden Veränderungen der Schleimhaut und in der gelegentlich mangelnden Compliance der Patienten zur endoskopischen Nachsorge.
Positive Familienanamnese
Im Falle einer positiven Familienanamnese für ein kolorektales Karzinom erhöht sich das Risiko um das 3-4fache, wenn ein erstgradig Verwandter von der Erkrankung betroffen ist. Sind zwei Fälle von Dickdarmkarzinomen in einer Familie bekannt, ist das Risiko für die erstgradig Verwandten um den Faktor 9 erhöht. Die Ursache für dieses Phänomen dürften einerseits gemeinsame Ernährungsfaktoren, andererseits aber auch eine ererbte Prädisposition mit nur partieller Penetranz sein.
Das vererbte Karzinom
Die vererbten kolorektalen Karzinomsyndrome, die etwa 10% aller kolorektalen Karzinome ausmachen, haben charakteristische Merkmale: es liegt ein autosomal dominanter Erbgang vor, das Karzinom entsteht in einem auffällig jungen Alter (unter dem 50. Lebensjahr). Weiters existieren enorme Variationen der phänotypischen Ausprägung. Die bekanntesten und daher am besten untersuchten Syndrome sind die Adenomatöse Polyposis Coli (APC) und das erbliche nichtpolypöse kolorektale Karzinomsyndrom (Hereditary Non Polyposis Colorectal Cancer = HNPCC). Da beide Erkrankungen eine Spontanmutationsrate (i. e. negative Familienanamnese) bis zu 40% aufweisen können, ist das Erkennen von Betroffenen gelegentlich nur durch das junge Alter bei der Diagnose eines Karzinoms möglich.
Erbliche Syndrome wie Peutz-Jeghers-Syndrom, Juvenile Polyposis Coli, Turcot-Syndrom, Muir-Torre-Syndrom und das Cronckite-Canada Syndrom haben aufgrund ihres seltenen Vorkommens untergeordnete Bedeutung, eine Prädisposition zur kolorektalen Tumorentstehung dürfte jedoch vorliegen.
a) Familiäre adenomatöse Polypose:
- ist für bis zu 1% aller kolorektalen Karzinome verantwortlich
- phänotypisch mehr als 100 Kolonpolypen
- Karzinomentstehung um das 30. Lebensjahr (Rektumkarzinom!)
- DNA-Defekt an Chr. 5q (APC-Gen)
- „Gardener Syndrom“:
– > 100 Adenome,
– Weichteil- und Knochenanomalien,
– Desmoidtumore - „Attenuated Form“:
– weniger als 100 Adenome
– keine prädominante CA- Lokalisation im Kolorektum
– Erkrankungsalter: 50.-60. Lebensjahr - „Hereditary Flat Adenoma Syndrome“:
– weniger als 100 Adenome,
– rechtsseitige Prädominanz der Adenome
– Erkrankungsalter 55.-60. Lebensjahr - Extraintestinale Manifestationen:
– kongenitale Retinapigmentepithel- Hyperplasie
– Polypose und Karzinome des oberen GI-Traktes
– Leber-Galle-Pankreas-Karzinome
– papilläres Schilddrüsenkarzinom (Frauen)
b) HNPCC
für mehr (?) als 10% aller kolorektalen Karzinome verantwortlich
- Kolonkarzinomsyndrom (Lynch I):
– rechtsseitiges Kolonkarzinom
– vermehrt multiple und metachrone Karzinome
– Erkrankungsalter: < 45. Lebensjahr - Krebssyndrom (Lynch II): wie Lynch I, zusätzlich:
– Endometrium- und/oder Ovarialkarzinom (!!)
– Magen- und Dünndarmkarzinome
– urologische Karzinome
– Hautkarzinome - DNA-Defekt:
– Chr. 2p und 3p (75% aller HNPCC-Fälle)
Tab. 3: Klinische Risikofaktoren | |
Erkrankung | Risiko (Normalbevölkerung) |
Erbliche Syndrome | 100* |
Colitis Ulcerosa | 19 (?)* |
Morbus Crohn | 7* |
Adenome | >2** |
Ureterosigmoideostomie | >2* |
Anamnese eines kolorektalen CA | 2 |
Positive Familienanamnese | 2 |
Anamnese eines gyn. CA | 1,5 |
Cholecystektomie (?) | <2 |
* abhängig von der Dauer der Erkrankung ** abhängig von der Größe und der Differenzierung |
Zusammenfassung
Die Ätiologie des Kolorektalkarzinoms ist multifaktoriell. Umwelteinflüssen und genetischen Faktoren kommt die entscheidende Rolle in der Karzinomentstehung zu. Risikofaktoren für das Auftreten eines Dickdarmkrebses sind präkanzeröse Läsionen (Adenome), eine positive Familienanamnese, erbliche Tumorsyndrome des Dickdarmes und im besonderen Ernährungsfaktoren. Eine erworbene Prädisposition zur Karzinomentstehung besteht bei einer kleinen Gruppe von Patienten, die bereits andere Erkrankungen durchgemacht haben.Besonderen Stellenwert in der Karzinomentstehung und daher auch für dessen Prävention nimmt eine vitamin- und ballaststoffreiche Ernährung ein. Die Kenntnis der klinischen Charakteristika erblicher kolorektaler Karzinomsyndrome ist zur Erkennung und rechtzeitigen Behandlung von Risikogruppen unerläßlich. Eine konsequente Therapie der als präkanzerös zu betrachtenden Dickdarmadenome sollte das Krebsrisiko Erkrankter auf das der Normalbevölkerung senken können. Die exakte Erhebung der Familienanamnese bei allen Patienten mit kolorektalen Tumoren, besonders aber bei jungen Patienten ermöglicht das Erkennen von Risikofällen in der Bevölkerung und kann daher zur Prävention des kolorektalen Karzinoms beitragen.