Koordination:
H. R. Rosen, Wien
Unter Mitarbeit von:
H. P. Friedl, Wien,
Ch. Vutuc, Wien,
H. Rabl, Graz
Trend
Seit den 50iger Jahren läßt sich ein zunehmender Rückgang bei der Inzidenz des Magenkarzinoms beobachten. Es muß jedoch festgestellt werden, daß Neuerkrankungen und Sterberaten beim Magenkarzinom noch immer annähernd parallel sich entwickelnde idente Raten zeigen. So finden sich 1992 2.382 Neuerkrankungen bei 1.775 am Magenkarzinom verstorbenen Patienten. Als Hauptursache muß die Tatsache angesehen werden, daß zum Zeitpunkt der Erstdiagnose mehr als die Hälfte aller Patienten lokal fortgeschrittene oder bereits metastasier
Epidemiologie
Das Magenkarzinom zeigte in den letzten Jahrzehnten eine fallende Inzidenz, ein Umstand, der jedoch weniger auf therapeutische Maßnahmen und Präventionserfolge, als viel mehr auf Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten bzw. Risikofaktoren zurückzuführen ist.
Während im Jahre 1983 3.010 Neuerkrankungen zur Erstdiagnose kamen, (Rohe Rate: 39,9/100.000; WHO-World-Standardrate: 21,0/100.000) wurden 10 Jahre später, 1992, 2.382 Patienten (Rohe Rate: 30,5 / 100.000; WHO-World Standardrate: 14,7/100.000) erstmals registriert.
In Übereinstimmung mit diesem Trend konnte auch ein absoluter Rückgang der Mortalität beim Magenkarzinom beobachtet werden: So standen 1983 2.264 am Magenkarzinom verstorbenen Patienten (Rohe Rate: 30,0/100.000; WHO-World-Standardrate: 15,1/100.000) im Jahr 1992 1.775 (Rohe Rate: 22,7/100.000, WHO-World-Standardrate : 10,2/100.000)gegenüber. Unter alters- und geschlechts-standardisierten Bedingungen (WHO-World) sind Männer etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Das Geschlechts-Verhältnis M/F von 1,95:1 aus dem Jahre 1983 blieb mit 1,94:1 im Jahre 1992 gleich. Dabei lag das Durchschnittsalter der männlichen Patienten 1983 bei 69,0 Jahren (1992: 69,7) verglichen mit 73,2 Jahren bei Frauen (1992: 73,7 Jahre).
Tumorstadien
Trotz des absoluten Rückganges der Inzidenz des Magenkarzinoms findet sich innerhalb der letzten 10 Jahre keine Veränderung in der Stadienverteilung zum Zeitpunkt der Erstdiagnose. Basierend auf der Stadieneinteilung des US Surveillance, Epidemiology and End Results Program (SEER) fanden sich bei der Erstdiagnose mehr als die Hälfte der Patienten mit einem die Organgrenzen bereits überschreitenden bzw. schon fernmetastasierten Tumor.
Risikofaktoren
Der multifaktorielle Einfluß und der stadienhafte Ablauf bei der Entstehung des Magenkarzinoms gelten als gesichert. Epidemiologische Beobachtungen haben ergeben, daß das Risiko, an Magenkarzinom zu erkranken, in niedrigeren sozioökonomischen Schichten größer ist. Umwelteinflüsse zusammen mit Nahrungskarzinogenen scheinen bereits in früher Kindheit mitverantwortlich zu sein.
Zwei Haupttypen mit völlig unterschiedlicher Ätiologie
Der intestinale Typ, am häufigsten vorkommend, entwickelt sich in Schleimhautarealen mit vorliegenden präkanzerösen Veränderungen. Er ist vorherrschend in geographischen Hochrisiko-Regionen und stellt das Endresultat eines Prozesses, der der Reihe nach folgende Stadien durchläuft, dar: Oberflächengastritis, multifokale chronische Atrophie, intestinale Metaplasie, Dysplasie und schließlich das invasive Karzinom. Der Verteilung nach entwickelt sich dieser Typ in etwa 50% im distalen Magen, ca. 20% entlang der kleinen Kurvatur, 25% an der Kardia und in 3-5% an der großen Kurvatur. In bis zu 10% tritt er im proximalen Magen auf.
Über den diffusen Typ ist wenig bekannt. Er entwickelt sich im jüngeren Lebensalter meist in normaler Mukosa. Die Inzidenz ist unter den verschiedenen geographischen Populationen nahezu ident. Als Vorläufer werden die globoide und die nicht metaplastische Dysplasie diskutiert.
Für die Entstehung des Magenkarzinoms werden zum Teil die Ingestion hoher Konzentrationen von Nitraten in getrockneten, geräucherten und gesalzenen Nahrungsmitteln verantwortlich gemacht, die durch Bakterien zu karzinogenen Nitriten abgebaut werden. Die bakterielle Besiedelung könnte theoretisch über die Aufnahme von unzureichend konservierter Nahrung oder endogen als Folge des Verlustes der Magensäure infolge vorausgegangener chirurgischer Interventionen (Resektionen) erfolgen, oder wenn Achlorhydrie, atrophe Gastritis oder perniziöse Anämie sich besonders im Alter entwickelt haben. Als zusätzlich begünstigende Fakoren werden der Menetrier’sche Faltenmagen, die Blutgruppe A, der Genuß von Nikotin und Alkohol im besonderen für das Kardiakarzinom, sowie die familiäre Häufung angeführt.
Correa hat folgende Hypothese der Entstehung des Magenkarzinoms postuliert: Der erste Schritt im multifaktoriellen Geschehen wird durch die akute Entzündung gesetzt, die vor allem durch übermäßigen Konsum von gesalzener Nahrung zusammen mit der Infektion von Helicobacter pylori gesehen wird. Gesalzene Nahrung scheint eine mögliche Ursache für die gesteigerte Produktion von Mutagenen als Folge der Nitritbildung zu sein. Die Infektion mit Helicobacter pylori ist ungewöhnlich hoch und intensiv in Populationen mit geographisch erhöhtem Karzinomrisiko, in sozio-ökonomisch niedrigen Schichten, und ist in diesen Fällen seit Kindheit vorherrschend. Obwohl die Infektion auch in Populationen mit vermindertem Risiko beobachtet wird, ist ihre Intensität geringer und startet erst im höheren Lebensalter. Die Infektion mit H. pylori scheint zusammen mit anderen karzinogenen Einflüssen von großer Bedeutung zu sein.
Der zweite Schritt in der kausalen Kette ist die Atrophie und der Drüsenverlust der Magenschleimhaut. Obwohl ernährungsbedingte Defizite diskutiert werden, konnte weder experimentell noch epidemiologisch ein kausaler Zusammenhang hergestellt werden.
Sobald sich die Atrophie entwickelt hat, steigt der intragastrale ph-Wert als Folge der verminderten Säureproduktion, was zur Proliferation anaerober Bakterien führt. Viele dieser Bakterien sind in der Lage, N-Nitrosoverbindungen, die bekanntlich starke Mutagene und Karzinogene darstellen, aus der Nahrung, Medikamenten oder Gallensäuren zu bilden. Es wird postuliert, daß es, durch das Einwirken von N-Nitrosoverbindungen über längere Zeit, zur Entstehung präkanzeröser Läsionen und letzlich zum invasiven Karzinom über die Bildung von Mutagenen kommt.
Zwei Hauptmechanismen wirken der Karzinogenese entgegen. Der eine betrifft das Vitamin C, welches eine Doppelfunktion durch die Hemmung der Synthese der N-Nitrosoverbindungen und Hemmung der Progression transformierter Zellklone durch Fibroplasie besitzt. Der andere betrifft ß-Carotene und deren Abkömmlinge, die als Radikalfänger wirksam und in der Lage sind, die Expression maligner Phänotypen in transformierten Zellen zu nichttransformierten Zellen über gap junctions zu blockieren. Epidemiologische Studien haben gezeigt, daß die Serumspiegel von Karotenoiden bei Patienten mit schwerer Dysplasie stark erniedrigt sind. Vorläufige Studien erbrachten indirekte Hinweise über die protektive Wirkung von Vitamin C und ß-Carotenen sowie deren Abkömmlingen, wonach die Inzidenz und Mortalitätsrate des Magenkarzinoms durch gesteigerten Verzehr von frischem Gemüse und Zitrusfrüchten vermindert werden konnte.
Ernährungsempfehlungen
- wenig gegrilltes oder gepökeltes Fleisch (Karzinogene?, Induktion der Gastritis?)
- viel frisches Obst und Gemüse (Vitamine als Antioxidantien bzw. „Radikal-Fänger“)
- wenig Alkohol (direkte Schädigung der Mukosa).
Zusammenfassung
Trotz des bekannten Rückganges der Inzidenz des Magenkarzinoms in den sogenannten „Ländern der Westlichen Welt“ erkrankten 1992 in Österreich doch mehr als 1.700 Patienten an diesem Malignom. Da zum Zeitpunkt der Erstdiagnose mehr als die Hälfte aller Patienten bereits fortgeschrittene Tumorstadien mit der damit verknüpften schlechten Prognose aufweisen, wären grundsätzlich Maßnahmen zur Früherkennung nach japanischem Muster zu befürworten. Diese sind aber derzeit aus Kostengründen nicht durchzusetzen. Da jedoch beschriebene Risikofaktoren auf Basis von Ernährung, Beruf bzw. Verursachern der chronischen Gastritis vermutet werden, müßte ein Hauptaugenmerk auf solchen Faktoren liegen. Inwiefern Programme zur standardisierten Erfassung und Therapie der H. pylori-positiven Gastritis einen weiteren Rückgang der Erkrankungsinzidenz mit sich bringen können, bleibt abzuwarten.