Consensus-Bericht Magenkarzinom

11. Internistisch-onkologische Therapie des Magenkarzinoms

Koordination:
W. Scheithauer, Wien

Unter Mitarbeit von:
R. Greil, Innsbruck
H. Hausmaninger, Salzburg
J. Pont, Wien
H. Samonigg, Graz

Problemstellung

Zum Zeitpunkt der Diagnose besteht bei einem Großteil der Patienten ein fortgeschrittenes Tumorleiden, das eine chirurgisch-radikale Therapie entweder technisch unmöglich macht oder eine baldige Rezidivierung mit sich bringt. Da für bestimmte Zytostatika eine gewisse Chemosensibilität von Magenkarzinomen nachgewiesen werden konnte, sollte eine internistisch-onkologische Therapie fortgeschrittener Tumorstadien zur Tumorverkleinerung oder zur Stabilisierung des Tumorleidens erwogen werden. Bei der Indikationsstellung müssen jedoch Alter, Allgemeinzustand, individuelle Prognosefaktoren und die Lebensqualität berücksichtigt werden.

Palliative Chemotherapie

Nur wenige Zytostatika sind beim metastasierten Magenkarzinom wirksam. Zu diesen zählen Cisplatin, die Anthrazycline Adriamycin und Epirubicin, der Antimetabolit 5-Fluorouracil, das Nitrosoharnstoffderivat BCNU und das Antibiotikum Mitomycin C. Kombinationen aus zwei oder mehreren dieser Zytostatika induzierten in den meisten Studien ähnliche Remissionsraten wie die jeweiligen Kombinationspartner in der Monotherapie. Lediglich einige neuere Polychemotherapieregime wie FAMTX (Fluorouracil, Adriamycin, hochdosiertes Methotrexat), EAP (Etoposid, Adriamycin, Cisplatin) und bestimmte, weniger toxische, vorwiegend auf der biochemischen Modulation von Fluorouracil durch Leukovorin basierende Zytostatikakombinationen scheinen die Ergebnisse, zumindest bei einigen Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen, verbessern zu können. Dennoch kann zur Zeit keine Standardchemotherapie für das metastasierte Magenkarzinom festgelegt werden. Bei der Indikationsstellung zu einer Chemotherapie müssen individuelle Patientencharakteristika, allgemeine Prognosefaktoren für die Remissionsinduktion und die Überlebenszeit (Allgemeinzustand, Geschlecht, Histologie, lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Stadium, Vorliegen einer Peritonealkarzinose) sowie das Nebenwirkungsspektrum der einzusetzenden Zytostatika und Zytostatikakombinationen berücksichtigt werden. Die Behandlung sollte idealerweise im Rahmen kontrollierter klinischer Studien erfolgen, die neue Zytostatika bzw. Therapieansätze überprüfen. In diesen Studien sollten nebst der (durch das gelegentliche Fehlen objektiv meßbarer Tumormanifestationen nur bedingt repräsentativen) Remissionsrate, vor allem die Überlebenszeit und die Lebensqualität der Patienten bewertet werden. Bei der Wahl des Therapieschemas ist zu berücksichtigen, daß bei rund 60% aller Patienten mit einem Magenkarzinom aufgrund ihres Alters und/oder wegen Komorbidität intensive Chemotherapieprogramme wie z. B. Cisplatin- oder Anthrazyclinhältige Kombinationen nicht eingesetzt werden können. Bei diesen Patienten sollte in der Regel gut verträglichen, weniger belastenden Regimina, die keine kumulativen Organtoxizitäten aufweisen der Vorzug gegeben werden. Wie im Falle jeglicher palliativen Chemotherapie sollte nach rund achtwöchiger Behandlungsdauer klinisch und mittels bildgebender Verfahren ein adäquates „Restaging” der Tumorerkrankung erfolgen. Bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes oder objektiven Anzeichen einer Tumorprogression sollte die Chemotherapie abgebrochen und durch rein supportive Maßnahmen ersetzt werden.

Neoadjuvante Chemotherapie

Ziel der neoadjuvanten oder präoperativen Chemotherapie ist es u.a. eine Reduktion der lokalen Tumorausbreitung zu induzieren („down-staging”) um bei nachfolgender Operation eine kurative Resektion zu ermöglichen. Basierend auf den positiven Erfahrungen in der primären zytostatischen Therapie des inflammatorischen und lokal fortgeschrittenen Mammakarzinoms sowie auch anderer Zieltumoren, wurden entsprechende Untersuchungen auch bei Patienten mit technisch nicht resektablen Magenkarzinomen durchgeführt. Bisherige Phase II Studien mit verschiedenen Polychemotherapieregimen konnten Remissionsraten von 40-70% erreichen, wobei der Anteil der nachfolgend möglichen kurativen Resektionsverfahren zwischen 38% und 83% lag. Die postoperative Letalitätsrate war nach vorgeschalteter Chemotherapie allgemein nicht erhöht. Eine retrospektive Analyse der bis dato publizierten unkontrollierten Studien und die vorliegenden Ergebnisse einer ersten randomisierten Studie deuten übereinstimmend darauf hin, daß durch den multimodalen Therapieansatz, im Vergleich zu primär chirurgischen Therapien, die mediane Überlebenszeit verbessert werden kann. Die Überlebensraten betrugen im Mittel 16-18 Monate für alle behandelten Patienten und 22-24 Monate nach potentiell kurativem Zweiteingriff. Insgesamt scheint bei einem solchen therapeutischen Vorgehen bei 20-30% der Patienten ein Langzeitüberleben realisierbar. Aufgrund dieser überzeugend positven Erfahrungen sollte die Kombination aus effektiver präoperativer Chemotherapie mit anschließender Resektion auch in früheren Tumorstadien geprüft werden.

Adjuvante Chemotherapie

Mit der Intention, durch eine postoperative (adjuvante) Chemotherapie die Rezidivrate nach RO-Resektion, d.h. ohne mikroskopischen Tumorrest, zu verringern, wurden in der Vergangenheit verschiedene Zytostatika und Zytostatikakombinationen eingesetzt. Dreizehn randomisierte Studien mit jeweils über 100 Patienten wurden in Europa und den USA publiziert. In elf Studien wurden keine signifikanten Unterschiede in der medianen Überlebenszeit zwischen der jeweiligen Chemotherapiegruppe und der ausschließlich chirurgisch behandelten Kontrollgruppe gefunden. Die Ergebnisse der einen positiven Studie, in der eine adjuvante Chemotherapie mit 5-FU und Methyl-CCNU zu einer höheren 5-Jahres-Überlebensrate führte, konnten im Rahmen von zwei identen Nachfolgestudien nicht bestätigt werden. Die andere Studie mit positivem Ergebnis weist den Makel einer sehr kleinen Fallzahl auf. Eine adjuvante Chemotherapie des Magenkarzinoms sollte deshalb nur im Rahmen kontrollierter Studien eingesetzt werden. Die Ursache für die bislang enttäuschenden Ergebnisse stellt möglicherweise die mangelnde Aktivität der untersuchten adjuvanten Chemotherapieprogramme dar. Daten über die Aktivität neuer effektiver Kombinationen liegen bisher nicht vor. Weiterer klinischer Prüfung bedürfen auch diverse alternative, z. T. vielversprechende Therapieansätze, wie etwa die intraperitoneale Zytostatikaapplikation oder die kombinierte Radiochemotherapie.

Zusammenfassung

Therapie der Wahl beim Magenkarzinom in den Stadien I und II ist die Chirurgie, da ein erheblicher Prozentsatz dieser Patienten nach kurativer Resektion lange Zeit lebt. Eine postoperative, adjuvante Chemotherapie scheint in diesen Fällen nicht erforderlich bzw. zielführend. Beim fortgeschrittenen Magenkarzinom sind die mit alleiniger operativer Therapie realisierbaren Ergebnisse jedoch enttäuschend geblieben, wobei systemische bzw. multimodale Behandlungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Jüngere Patienten mit lokal fortgeschrittenen, technisch nicht resektablen Magenkarzinomen sollten – möglichst innerhalb kontrollierter Studien und an spezialisierten Zentren – mit intensiven Chemotherapieregimen behandelt werden, damit im Falle einer objektiven Remission (40-70%) eine Second-look-Operation mit Resektion des verbliebenen Resttumors durchgeführt werden kann. Bei Patienten mit Fernmetastasen sollte die Indikation zur Chemotherapie sorgfältig gestellt werden. Da es bis dato kein Standardchemotherapieschema gibt, sollte die Behandlung idealerweise gleichfalls im Rahmen kontrollierter Therapiestudien erfolgen. Im Einzelfall ist die Auswahl und die Dosierung der Zytostatika vom Alter, Allgemeinzustand und anderen Prognosefaktoren unter Berücksichtigung der Organfunktionen und schließlich auch von der Erfahrung des behandelnden Arztes abhängig zu machen. Eine Überlebensverlängerung bei akzeptabler Lebensqualität dürfte so zumindest bei einigen dieser Patienten realisierbar sein. Zudem kann der potentielle Benefit einer internistisch-onkologischen Palliativbehandlung durch engmaschige klinische und bildgebende Verlaufskontrollen der Tumorerkrankung in der Regel frühzeitig beurteilt werden.

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