Koordination:
F. Hofbauer, Oberpullendorf
Unter Mitarbeit von:
A. Haid, Feldkirch
M. Hold, Wien
H. Rabl, Graz
W. Weiss, Wien
Problemstellung
Mit Zunahme des Zeitintervalls nach einer Magenresektion wegen eines benignen Grundleidens steigt die Möglichkeit der Karzinomentstehung im Restmagen. Die Ätiopathogenese für dieses Ereignis wird zum Teil kontroversiell diskutiert. Wie beim primären Magenkarzinom ist auch hier eine Heilung nur durch chirurgische Therapie im Frühstadium möglich, wodurch sich die Forderung nach einem kontrollierten Endoskopiescreening etwa ab dem 10. Jahr nach Magenresektion erhebt.
Definition
Das Auftreten eines Karzinoms im operierten Magen bei einer Latenzzeit von mindestens 5 Jahren nach einem vorausgegangenen Primäreingriff wegen eines histologisch verifizierten, benigen Grundleidens – einem Ulcus ventriculi oder duodeni – wird per definitionem als Karzinom des Restmagens bezeichnet.
Ätiopathogenese
Es bleibt die Frage offen, ob die Ursache in der präexistenten Ulkuskrankheit oder im chirurgischen Vorgehen zu suchen sind. Für die Entstehung verantwortlich sind u.a. die Anwesenheit von Bakterien aufgrund der verminderten Azidität und die Formation von Nitrosaminen. Einen wesentlichen Faktor scheint der duodenogastrale Reflux darzustellen. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Intensität des duodenogastralen Refluxes und des Schweregrades der histologischen Veränderungen der Mukosa im Restmagen konnte gefunden werden. Die Karzinominzidenz korreliert positiv mit der Zunahme des Dysplasiegrades.
Problem des freien Intervalls
Ein konstantes Intervall zwischen der Erstoperation und dem Auftreten des Karzinoms im Restmagen gibt es nicht. Je älter der Patient zum Zeitpunkt der Primäroperation ist, umso kürzer ist das Intervall und umgekehrt, je jünger der Patient, umso länger dauert die Entstehung des Karzinoms im Restmagen. Nach dem 20. postoperativen Jahr ist das Risiko, ein Karzinom im Restmagen zu entwickeln um den Faktor 1,6-7,0 erhöht. Frauen sind bereits 15 Jahre, Männer 25 Jahre nach der Operation besonders gefährdet.
Inzidenz, Häufigkeit, Risiko
Das Karzinom im Restmagen tritt im gleichen Lebensalter wie das primäre Magenkarzinom auf. Die Inzidenzrate beträgt 2-5%. Die Häufigkeitsverteilung des Karzinoms im Restmagen und des primären Magenkarzinoms, bezogen auf das Erkrankungsalter, ist nahezu gleich. Eine 2,2fach erhöhte Inzidenz bei vorausgegangener Operation wegen eines Ulkus ventrikuli gegenüber einem Ulkus duodeni ist nachgewiesen. Frauen haben ein 2fach höheres Risiko als Männer, und im BII-Magen ist das Risiko um das 2,5fache gegenüber dem BI-Magen erhöht. Mit zunehmendem Alter zum Zeitpunkt der Operation fällt das Risiko.
Lokalisation
Die Hauptlokalisation ist der Häufigkeit nach absteigend die Anastomosenregion > Fornix-Korpus > Kardia > gesamter Magenstumpf.
Makroskopischer und histologischer Typ
entsprechen sowohl der Häufigkeit als auch der Verteilung nach dem primären Magenkarzinom.
C-Klassifikation (Diagnosesicherungsgrad cTNM)
wie beim primären Magenkarzinom, mit Ausnahme der lymphogenen Aussaat in das anastomosentragende Mesenterium und die Mesenterialwurzel.
Lymphogene Aussaat
Der Befall der Lymphknotenstationen ist gegenüber dem primären Magenkarzinom unterschiedlich. Metastasen sind signifikant häufiger in den Stationen 4 und 11, weniger häufig in Station 3 nachzuweisen. Die lymphogene Aussaat entlang der großen Kurvatur scheint somit von größerer Bedeutung zu sein, als die entlang der kleinen Kurvatur, was wahrscheinlich auf den vorausgegangenen Primäreingriff zurückzuführen ist. Von großer Bedeutung sind die Lymphknoten im Mesenterium der anastomosentragenden Jejunumschlinge (Nj) beim BII-Verfahren. Weder die JRSGC (Japanese Research Society for Gastric Cancer) noch das TNM-Schema berücksichtigen zum gegebenen Zeitpunkt diese Lymphknotenstationen.
Frühkarzinom im operierten Magen
Makroskopisches Bild eines später histologisch verifizierten Magenfrühkarzinoms (Pfeil)
Histologisches Bild eines Magenfrühkarzinoms vom Mukosatyp (Pfeile)
Screening
Die Prognose des Karzinoms im Restmagen hängt im wesentlichen wie beim primären Magenkarzinom vom Tumorstadium zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und Operation ab. Für ein endoskopisches Screening spricht die Tatsache, daß eine Reihe von Arbeitsgruppen durch regelmäßige endoskopische und bioptische Überwachung das Karzinom im Restmagen mehrheitlich als Frühkarzinom erfaßt und dadurch überdurchschnittlich gute therapeutische Ergebnisse erzielt werden konnten.
Mittelgradig-schwere Dysplasien sollten alle 3 Monate über 1 Jahr, danach in 2jährigen Abständen biopsiert werden. Eine entsprechende Anzahl von Biopsien, gewöhnlich 8-12 aus der Anastomose und deren unmittelbarer Umgebung, sowie eine adäquate Anzahl aus dem gesamten Restmagen ist anzustreben.
Screening-Empfehlung bei Risikogruppen
- Großer zeitlicher Abstand zur Magenresektion, bzw. jugendliches Alter beim Primäreingriff. Ein hohes Risiko besteht bei Frauen ab dem 15. und bei Männern ab dem 20. postoperativen Jahr.
- Primäreingriff wegen Ulcus ventrikuli
- Patienten mit BII-Resektion, besonders retrokolisch ohne Braun´sche Enteroanastomose
- Patienten mit mittelgradiger- schwerer Dysplasie im Magenstumpf.
Chirurgische Therapie
Das Karzinom im Restmagen scheint keine eigene Entität zu sein. Daraus folgernd ist das Karzinom im Restmagen wie ein primäres Magenkarzinom zu behandeln. Dies trifft sicherlich auch für die evtl. adjuvante oder palliative Zusatzbehandlung zu. Die Besonderheit im chirurgischen Vorgehen gegenüber dem primären Magenkarzinom ergibt sich aus der vorausgegangenen Magenresektion.
Grundsätzlich ist beim Karzinom im Restmagen immer die Restgastrektomie angezeigt. Partielle Resektionen haben selbst beim Frühkarzinom im Restmagen wegen der hohen lokalen Rezidivrate keine Indikation.
Die Resektion des Karzinoms im Restmagen hat den Prinzipien der primären Magenkarzinomchirurgie zu folgen. Die Resektion des anastomosentragenden Mesenteriums des Jejunumschenkels mit den zugehörigen Lymphknoten sollte aufgrund des möglichen Befalls durchgeführt werden.
Die Rekonstruktion wird u.a. durch die Art der vorgegebenen primären Resektionsform bestimmt.
Erweiterung des operativen Eingriffs auf andere Organe, Querkolon, Milz, Pankreas, Leber, etc. entsprechen wiederum den Prinzipien der Chirurgie des primären Magenkarzinoms.
Zusammenfassung
Als Karzinom im Restmagen (oder „Magenstumpfkarzinom“) bezeichnet man die Entstehung eines Magenkarzinoms bei Zustand nach vorausgegangener Resektion wegen primär benignen Grundleidens (meist Ulcus pepticum).
- Die Klärung der Ätiopathogenese ist zur Zeit noch offen, wobei jedoch ein wesentlicher Faktor im duodenogastralen Reflux zu liegen scheint.
- Die Karzinominzidenz korreliert positiv mit der Zunahme des Dysplasiegrades.
- Nach dem 20. postoperativen Jahr ist das Risiko der Karzinomentstehung im Restmagen bis zum Faktor 7,0 erhöht.
- Es empfiehlt sich daher ein endoskopisches Screening bei jugendlichen Patienten, ab dem 15. postoperativen Jahr bei Frauen, ab dem 20. postoperativen Jahr bei Männern. Zusätzlich müssen alle Patienten mit mittelgradiger Dysplasie im Magenstumpf engmaschigst observiert werden.