Consensus-Bericht Mammakarzinom

8. Strahlentherapie des Mammakarzinoms

Koordination:
A. Hackl, Graz
G. Hohenberg, Wien
H. D. Kogelnik, Salzburg

Unter Mitarbeit von:
J. Hammer, Linz
B. Hirn, Wien
W. Seitz, Wien

Problemstellung

1. Subklinische Tumorzellansammlungen bzw. makroskopische Tumorresiduen führen zu Lokalrezidiven, können aber auch eine Generalisierung der Krankheit hervorrufen. Die Strahlentherapie ist deshalb als lokoregionäre Behandlungsmethode im interdisziplinären Therapiekonzept des Mammakarzioms fest verankert.Es ist in erster Linie der modernen Strahlentherapie ( Radio-Onkologie ) zu verdanken, daß die brusterhaltende Behandlung für die meisten Patientinnen bereits zur klinischen Routine geworden ist. Auch in der palliativen Behandlung ist die Radiotherapie fix integriert.

2. Zur Zeit stehen in Österreich acht modernst ausgestattete Therapiezentren zur Verfügung; in den nächsten sechs bis sieben Jahren ist mit der Errichtung weiterer sechs bis sieben Zentren zu rechnen. Eine kurzfristige Anmeldung der Patientinnen im Anschluß an die Operation ist für die zeitgerechte Terminisierung des Bestrahlungsablaufes unerläßlich.

3. Trotz primär hoher Anschaffungskosten gehört die Strahlentherapie zu den kostengünstigsten und effektivsten Krebsbenandlungsformen; für die Patientinnen werden die Bestrahlungskosten voll gedeckt.

Ziel

Die Aufgabe der kurativen Strahlentherapie besteht darin, postoperativ subklinisch verbliebene Tumorzellen zu vernichten, dadurch einem Lokalrezidiv vorzubeugen und somit eine weitere Tumorausbreitung zu verhindern (Chemo- und/oder Hormontherapie können das Auftreten eine lokalregionären Rezidivs nicht permanent unterbinden). Die palliative Radiotherapie ermöglicht bei den meisten Patientinnen eine wesentliche Anhebung der Lebensqualität.

Einleitung

Die Strahlentherapie (Radio-Onkologie) ist als lokoregionäre Behandlungsmethode des Mammakarzinoms sowohl im kurativen als auch im palliativen Konzept fest verankert. Wie bei allen soliden malignen Tumoren ist auch bei dieser Entität ohne lokale Tumorkontrolle eine Heilung nicht möglich.

Strahlentherapie nach organerhaltender Operation

In den Frühstadien ist das Mammakarzinom keine Systemerkrankung, sondern fast immer eine lokoregional begrenzte Geschwulst. Eine optimale lokoregionäre Tumorkontrolle kann man nach eingeschränktem operativen Vorgehen nur in sinnvoller Kombination mit einer Strahlentherapie erreichen, wobei heute bereits 70 -90 % aller neu erkrankten Patientinnen einer brusterhaltenden Behandlung unterzogen werden können.

Indikationen für eine Radiotherapie nach brusterhaltender Operation

Für alle brusterhaltend operierten Patientinnen ist im Rahmen der Primärbehandlung die Radiotherapie der Mamma obligat (ob bei menopausalen Patientinnen mit Tumoren unter 1 cm und histologisch negativen axillären Lymphknoten die Nachbestrahlung unbedingt erforderlich ist, wird derzeit noch in klinischen Studien geprüft).

Bei sehr fortgeschrittenem axillärem Befall (kapselüberschreitendes Metastasenwachstum, verbackene Lymphknoten) sowie einer inkompletten axillären Dissektion (unter zehn Lymphknoten) und gleichzeitig nachgewiesener Lymphknotenmetastasierung ist die Bestrahlung der Supraklavikularregion und des Apex der Axilla zu empfehlen. Wurden axilläre Lymphknotenmetastasen festgestellt, ist bei medial oder zentral gelgenem Primärtumor eine Bestrahlung der parasternalen Lymphknoten in Erwägung zu ziehen.

Für Tumoren über 4 cm sowie bei einem ungünstigen Verhältnis von Tumordurchmesser und Brustgröße kann durch eine initiale Chemotherapie, wie italienische und französische Studien gezeigt haben, bei über 80 % dieser Patientinnen eine Tumorverkleinerung erzielt und dadurch ein brusterhaltendes Behandlungskonzept ermöglicht werden.

Nach dem seltenen Auftreten eines Rezidivs in einer brusterhaltend behandelten Mamma wird durch eine nachfolgende Operation noch immer bei etwa 70 % der Frauen eine 5-Jahres-Heilung erzielt (völlig unterschiedlich dazu liegt die tumorfreie 5-Jahres-šberlebensrate bei Patientinnen mit isolierten Brustwandrezidiven nach Radikaloperation nur um 10 %).

Qualitätskriterien

Um die Behandlung adäquat durchführen zu können, ist neben der Einhaltung der chirurgischen und radio-onkologischen Qualitätskriterien eine enge Zusammenarbeit mit Radiodiagnostikern, Pathologen, Chirurgen und internistischen Onkologen erforderlich. Erst aufgrund des Operationsberichtes, der radiologischen und aller histopathologischen sowie histochemischen Befunde ist es möglich, einen individuellen, risikoadaptierten Behandlungsplan zu erstellen. Der Radio-Onkologe entscheidet, ob nur die Brust alleine oder auch die regionären Lymphabflußgebiete bestrahlt werden sollen. Das Zielvolumen wird im Rahmen einer Röntgenlokalisation -der sogenannten Simulation -eingegrenzt. Darüber hinaus werden Querschnittsbilder dieser Körperregion angefertigt, um mit Hilfe eines Therapieplanungsgerätes eine optimierte Simulation der Dosisverteilung im Zielvolumen darzustellen.

Zeitpunkt der Bestrahlung

Die Behandlung sollte, wenn keine Chemotherapie durchgeführt wird, 3-6 Wochen postoperativ beginnen. Unter Hochvoltbedingungen, d.h. mit Co-60 Gamma- oder hochenergetischer Photonenstrahlung, wird mit Einzeldosen von 1,7-2 Gray (Gy)/Tag eine Gesamtdosis von ca. 50 Gy appliziert (1 Gy = 100 cGy = 100 rad). Die Gesamtbehandlungsdauer beträgt demnach 5-6 Wochen, bei einer täglichen Bestrahlung von Montag bis Freitag. Falls eine Chemotherapie durchgeführt wird, erfolgt die Strahlenbehandlung nach dem zweiten oder dritten Zyklus.

Bestrahlung plus Boost

Im Rahmen des brusterhaltenden Therapiekonzeptes wird in den meisten Fällen auf das Tumorbett noch eine Aufsättigungsdosis -ein sogenannter Boost -verabreicht. Dieser Boost kann entweder perkutan mittels Elektronenstrahlung oder in interstitieller Technik (Implantation von Hohlnadeln in das Gewebe) im LDR- oder HDR-Verfahren erfolgen.

Während mit Elektronen üblicherweise 10 Gy innerhalb einer Woche appliziert werden, kann der interstitielle LDR-Boost bis auf 25 Gy erhöht werden. Die verabreichten Dosen richten sich nach den Risikofaktoren für das Auftreten eines Rezidivs nach brusterhaltender Behandlung, wie z.B. dem histopathologischen Differenzierungsgrad, der Ausdehnung eines intraduktalen Tumoranteils, dem Alter der Patientinnen und der Resektionsrandanalyse. Im Hinblick auf die Narkose ist beim interstitiellen Boost ein kurzer stationärer Aufenthalt erforderlich.

Strahlentherapie nach Radikaloperation

Durch die postoperative Radiatio wird auch nach Radikaloperationen eine signifikante Senkung der lokoregionalen Rezidivrate erzielt, welche für die Lebensqualität der Patientinnen von großer Bedeutung ist. Für Patientinnen mit mehr als 3 befallenen axillären Lymphknoten und mit mediozentral lokalisierten Tumoren besteht ein deutlicher Trend zur Verbesserung der šberlebensrate. Die Indikation zur adjuvanten Strahlentherapie ist je nach individuellem Rezidivrisiko zu stellen. Nach radikaler Mastektomie und Lymphknotendissektion des lokal fortgeschrittenen Mammakarzinoms ist eine adjuvante Radiotherapie wegen des hohen Risikos (<F128M>”<F255D> 30 %) einer lokoregionären Rezidivbildung erforderlich. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines lokoregionären Rezidivs 10-15 % beträgt, erscheint eine Nachbestrahlung empfehlenswert.

Indikationen für eine adjuvante postoperative Radiotherapie nach modifizierter Radikaloperation

  • Tumoren mit mehr als 4-5 cm im Durchmesser
  • Brustwandnahe Tumoren (jede Größe)
  • Tumorentfernung non in sano (Primärtumor bzw. axilläre Lymphknoten)
  • Infiltration der Haut oder der Pektoralisfaszie
  • Mediozentraler Tumorsitz und befallene axilläre Lymphknoten
  • Axilläre Lymphknotenmetastasierung nach inadäquater Dissektion (unter 10 untersuchte Lnn.)
  • Mehr als drei befallene axilläre Lymphknoten
  • Infiltration in das paranodale Fettgewebe (Kapseldurchbruch)
  • Lymphknotenmetastasen supra- oder infraklavikulär

Für verschiedene Ausgangssituationen, wie z.B. bei multizentrischen Primärtumoren oder mediozentral lokalisierten Karzinomen mit histologisch negativen axillären Lymphknoten fehlen in Studien signifikante Daten für eine Indikation zur adjuvanten Radiotherapie nach Mastektomie. Die Indikation zur Strahlentherapie wird daher in diesen Fällen uneinheitlich beurteilt, wie beispielsweise auch bei Vorhandensein von 1-3 axillären Lymphknotenmetastasen (bei <F128M>”<F255D> 10 untersuchten Lymphknoten), bei Blut- und Lymphgefäßeinbruch, sowie bei niedriggradiger histologischer Differenzierung (G 3).

Indikationen für eine Radiotherapie beim inflammatorischen Mammakarzinom

Beim inflammatorischen Mammakarzinom ist, ebenso wie in den fortgeschrittenen Tumorstadien, zur Absicherung des lokoregionalen Therapieerfolges die Radiotherapie im interdisziplinären Behandlungskonzept fest verankert.

Nebenwirkungen und Spätfolgen

Unter Anwendung aller modernen Behandlungstechniken sind akute Nebenwirkungen nur mehr in Form mäßiger bis höhergradiger Hautreaktionen zu finden, welche mit entsprechender Pflege innerhalb weniger Wochen wieder abklingen.

Der bei der tangentialen Bestrahlung der Mamma bzw. der Thoraxwand mitbestrahlte Lungenanteil wird im Rahmen einer computerunterstützten Bestrahlungsplanung genau bestimmt und auf eine Tiefe von 1,5 cm in der Lunge begrenzt. Auch die Radiatio der parasternalen Lymphknoten kann heute durch die Anwendung von schnellen Elektronen (in Kombination mit Photonen) problemlos durchgeführt werden. Eine Pneumonitis ist daher bei alleiniger postoperativer Radiotherapie ein seltenes Ereignis, und kann in nahezu allen Fällen durch die Gabe von Steroiden und Antibiotika zur völligen Ausheilung gebracht werden.

Eine simultane Chemotherapie ist besonders im Rahmen der brusterhaltenden Behandlung zu vermeiden, da sonst unerwünschte Nebenwirkungen und Spätfolgen, wie starke Hautreaktionen und Fibrosierungen, auftreten können.

Palliative Strahlentherapie

Auch im palliativen Behandlungskonzept des Mammakarzinoms hat die Strahlentherapie eine wichtige Rolle. Hier steht als Ziel vor allem die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund. Die Bestrahlung sollte unmittelbar nach Diagnosestellung erfolgen.

Durch Knochenmetastasen bedingte Schmerzen können durch die palliative Strahlentherapie bei 70-90 % der Patientinnen gelindert oder gänzlich beseitigt werden. Bei Frauen mit osteolytischen Metastasen ist häufig eine Rekalzifizierung zu erreichen. Die Bestrahlung von Hirnmetastasen führt ebenfalls bei 70-90 % der Patientinnen zu einem partiellen oder vollständigen Rückgang der neurologischen Symptomatik.

Indikationen für eine palliative Radiotherapie

  • Schmerzhafte Knochenmetastasen
  • Drohende Rückenmarkskompression (wenn keine chirurgische Intervention indiziert ist)
  • Konsolidierende Radiotherapie nach chirurgischen Eingriffen (z.B. Laminektomie, Osteosynthese)
  • Epidurale Metastasen im Wirbelsäulenbereich
  • Drohende Fraktur, insbesondere im Bereich statisch belasteter Skelettabschnitte
  • Durch Nerveninfiltration bzw. Dehnung von Nervenfasern bedingte Schmerzen (z.B. Lymphknotenmetastasen supraklavikulär, subkapsuläre Lebermetastasen)
  • Obere Einflußstauung oder Kompression des zentralen Bronchialsystems
  • Retrobulbäre Metastasen mit einer Protrusio bulbi sowie Aderhautmetastasen
  • Hirnmetastasen

Zusammenfassung

Die Strahlentherapie (Radio – Onkologie) ist beim Mammakarziom sowohl im kurativen als auch im palliativen Konzept fest verankert. Die brusterhaltende Behandlung ist erst mit Hilfe der Radiotherapie weltweit zur Routinebehandlung geworden. Wie aus den 1990 in den USA vom National Institute of Health (NIH) publizierten Empfehlungen hervorgeht, und denen sich die österreichischen Fachgesellschaften vollinhaltlich anschließen, kann diese Behandlung bei der Mehrzahl der Frauen mit Mammakarzinom im Stadium I und II durchgeführt werden. Sie ist einer radikalen Mastektomie vorzuziehen, weil bei gleichen Überlebensraten eine Organerhaltung möglich ist. Dieser Empfehlung des NIH liegen prospektive randomisierte Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von über 15 Jahren zugrunde, wobei Primärtumoren mit einem Durchmesser bis zu vier Zentimeter inkludiert waren.

Nach Radikaloperationen wird durch die Strahlentherapie eine signifikante Senkung der Lokalrezidivrate erreicht, welche für die Lebensqualität der Patientinnen von großer Bedeutung ist; bei selektierten Patientinnen besteht außerdem ein deutlicher Trend zu verbesserten Überlebensraten.

Beim metastasierten Mammakarzinom stellt die Radiotherapie die effektivste Methode der lokalen Schmerzbekämpfung das (z.B. Knochenmetastasen).

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